Nobody's perfect!

oder

Der Züchter trägt die Verantwortung


Von der komplizierten Suche nach dem passenden Vater für unsere Hundekinder...

 

"3.3 Die Verantwortung und das Risiko jeder Verpaarung trägt der Züchter."

So steht es als letzter Satz in der Zuchtordnung unserer Zuchtgemeinschaft für Eurasier, und

"2.3. Die Deckrüdenauswahl trifft der Hauptzuchtleiter im Rahmen der Richtlinien der Zuchtleitung un möglichst im Einvernehmen mit dem zuständigen Regionalzuchtwart.

2.4. Dem Züchter werden für die jeweilige Läufigkeit der Hündin nach Möglichkeit mehrere Deckrüden vorgeschlagen. (...)"

Auch wenn die Deckrüdenauswahl nach bestimmten Richtlinien vom Hauptzuchtleiter vorgenommen wird, muss sich doch jeder ernsthafte Züchter damit befassen, von welchen Voraussetzungen und Bedingungen eine Verpaarung abhängig ist. Wenn der Züchter die Verantwortung tragen soll, muss er alle Risiken kennen - und zu tragen bereit sein. Da dem Züchter mehrere Deckrüden vorgeschlagen werden sollen, ist sowohl kompetente Beratung durch die Zuchtleitung gefragt als auch eigenes Wissen des Züchters, damit die bestmögliche Wahl getroffen werden kann.

Nicht jeder Rüde und jede Hündin passen zusammen, auch wenn sie auf dem Foto ein noch so schönes Paar ergeben.  Zunächst einmal ist es - wie ja bei Menschen auch - wichtig, dass beide nicht nah verwandt sind, am besten gar nicht. Um das festzustellen, bemüht man den Inzuchtkoeffizienten (IK) und den Ahnenverlustquotienten (AVK), die beide gemeinsam zu betrachten sind.

Ein IK von 0 bedeutet, dass kein Vorfahre des Vaters auch Vorfahre der Mutter ist. Beim AVK betrachtet man die Ahnentafel auch daraufhin, ob ein Ahne auf der Vater- oder Mutterseite der Ahnen mehrfach auftaucht, ein Hund also zum Beispiel in vier Generationen nicht 30, sondern nur 29 oder vielleicht 25 unterschiedliche Ahnen besitzt. Liegt der AVK bei 100%, dann taucht kein Verwandter mehrfach auf. Je niedriger der IK und je höher der AVK also ist, umso günstiger für die neue Verpaarung, denn:

Die meisten Erbkrankheiten werden rezessiv weitergegeben. Menschen oder Tiere werden daher nur dann wirklich krank, wenn Vater UND Mutter Krankheitsgene besitzen. Problematisch wird es dann, wenn derselbe rezessive Defekt mehrfach in der Ahnenreihe vorkommt. Dies ist bei fortgesetzter Inzucht der Fall, wenn also immer wieder nah verwandte Lebewesen Nachwuchs produzieren. Hier erhöht sich sowohl die Wahrscheinlichkeit besonders leistungsfähiger als auch krankhafter Genkombinationen, da immer mehr Genorte reinerbig werden. Doppelte Allele, die häufig für Krankheiten zuständig sind, werden dann auch äußerlich (im Phänotyp) sichtbar. Im genetischen Sinne reinerbige Lebewesen zeigen oft geringere Vitalität und sind anfälliger für Krankheiten (Inzuchtdepression). Besonders bei kleinen Zuchtpopulationen kann Inzucht daher zu einem Problem mit fatalen Folgen führen.

Die Grafik zeigt vereinfacht den Erbgang zweier rezessiver Merkmale, von denen das gelb gefärbte "gesund" uns das rote "krank" bedeutet. Beide Eltern sind zwar gesund, geben aber die Anlage zur Krankheit weiter. Das statistische Risiko zu erkranken, liegt für die Kinder bei 25% (zwei rote Balken), ebenso hoch wie die Chance, in ihren Erbanlagen (im Genotyp) gesund zu sein (zwei gelbe Balken). Dabei sind nach außen hin aber drei von vier Kindern gesund.

Wenn also die Verwandtschaft - oder vielmehr die Nicht-Verwandtschaft geklärt ist, geht es auf die Suche nach den möglichen Krankheitsrisiken. Dabei gibt es schon die Eingrenzung, dass nur bei angekörten Rüden Ausschau gehalten werden muss, bei denen also, die die größten Hürden schon genommen haben. Zuchtausschließende Fehler wie schwere Hüftgelenksdysplasie, Patella-Luxation, Schilddrüsen-Unterfunktion, manche Gebissfehler, Kryptorchismus, bestimmte Augenerkrankungen - um nur einige wichtige zu nennen - liegen (zurzeit) nicht vor.

Allerdings: Hat meine Hündin eine B-Hüfte,kommt nur ein Rüde mit erstklassigen A-Hüften in Betracht. Schließlich soll die vorhandene Schwäche ja hoffentlich günstig beeinflusst werden. Hier reduziert sich die Anzahl der Kandidaten dann möglicherweise schon wieder...

Auskunft über all diese Gesundheitsdaten sollte die Kenntnis und Interpretation einer gut geführten und gefütterten Datenbank geben.

Nun reicht es aber keinesfalls, nur den einzelnen ins Visier genommenen Rüden zu betrachten.Wenn er beispielsweise eine wunderbar funktionierende Schilddrüse besitzt, von seinen sechs Wurfgeschwistern aber drei mit Schilddrüsenunterfunktion kämpfen - vielleicht auch in der weiteren Familie dasselbe Problem auftritt, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch der genannte Rüde das entsprechende Defektgen besitzt. Trifft er nun auf eine Hündin mit ähnlicher Belastung, ist die Wahr-scheinlichkeit hoch, dass die Welpen aus dem neuen Wurf ebenfalls betroffen sein werden, denn hier können leicht zwei rezessive Anlagen zusammentreffen und die Schilddrüsenproblematik manifest werden lassen. Einige Welpen sind dann krank und müssen zeitlebens therapiert werden.

Bei anderen Eigenschaften oder auch Erkrankungen, deren Erblichkeit erwiesen oder zumindest sehr wahrscheinlich ist, verhält es sich ganz ähnlich. Meist ist allerdings nicht nur ein Gen "zuständig", sondern es sind mehrere, die aber die Forschung häufig noch gar nicht alle benennen und lokalisieren kann. Daher ist eine sichere Voraussage nicht möglich. Nur die Wahrscheinlichkeit, eben das Risiko, kann ein wenig besser eingeschätzt werden.

Mit etwas Geschick kann man der gut geführten Datenbank dann entlocken, wie oft welche Besonderheiten über sechs Generationen hin bei den Ahnen des in Frage kommenden Hundes aufgetaucht sind (Das sind immerhin 140 Tiere!), man kann aber auch feststellen, wie es bei den Wurfgeschwistern, den Halbgeschwistern des Hundes, vor allem aber auch bei deren Nachkommen usw. aussieht.

Wenn die Besitzer dieser Hunde dem Verwalter der Datenbank verantwortungsvoll gemeldet haben, welche Besonderheiten, Beschwerden, Krankheiten im Laufe des Hundelebens aufgetreten sind, wenn auch Todesursachen (wie z. B. Tumoren) verzeichnet sind, lässt dies weitere Rückschlüsse auf die Gesundheit der Hunde(groß)familie zu. Sicherheit gibt es trotzdem nicht. Eine Häufung von Krankheiten muss mich aber aufmerksam werden lassen. Vielleicht ist dieser Prinz dann doch nicht die beste Wahl für meine Hündin, die ja schließlich auch nicht perfekt ist? Nicht unterschlagen werden soll, dass so eine Datenbank im besten Fall auch die positiven Seiten jedes Hundes widerspiegelt.

So vergeht erst einmal eine Zeit mit Forschen und Nachdenken, vielleicht auch mit Reisen zu verschiedenen Treffen, zu Ausstellungen, um Hunde - in diesem Falle Rüden - zu beobachten, sie auch mit ihren Menschen zu erleben. Im Zeitalter der Epigenetik weiß man ja, dass nicht nur tatsächlich Ererbtes, sondern auch Erworbenes weitergegeben werden kann. Sind Mensch und Hund ein Team? Zeigt der Hund Vertrauen in seinen Lieblingsmenschen? Oder erscheint er ängstlich, scheu, aggressiv, sturköpfig oder unterwürfig? Wie begegnet er Artgenossen? Wie fremden Menschen? Wenn es mir nicht möglich ist selbst herumzureisen, weil die Wege zu weit sind oder die Zeit einfach nicht reicht, feage ich andere, die den Rüden vielleicht kennen und die Kompetenz besitzen mir zu raten.

Dann zeichnet sich ein Entschluss ab. Kleinere Baustellen müssen noch abgecheckt werden, etwa, wie die Kopf- oder Körperformen harmonieren werden, die Ohren etwa sollten weder zu groß noch zu klein sein, zu tief oder zu hoch angesetzt und so weiter und so fort. Wenn meine Hündin einen ziemlich langen Rücken besitzt, sollte der Rüde vielleicht eher "quadratisch, praktisch, gut" sein, damit die "neuen" Hunde dem Idealbild des Eurasiers, dem "Standard" vielleicht noch näher kommen.

Brauchen wir noch ein neues Schilddrüsenprofil? Was schreibt die Zuchtordnung eventuell noch vor?

Wenn schließlich Züchter und Zuchtleitung sich einig sind, wird die Deckempfehlung ausgeschrieben und dem Züchter zugestellt. Falls der Rüde in einem anderen Verein geführt wird, geschieht das in Absprache mit der Zuchtleitung dieses Vereins und die Deckempfehlung bekommt zwei Unterschriften. 

Jetzt nehmen wir Kontakt zu den Menschen des Auserwählten auf. Mit etwas Glück leben sie nicht in (beinahe) unerreichbarer Ferne. Eine Fahrt in den Hochschwarzwald im tiefsten Winter gehört in einer solchen Situation auch nicht zu meinen Favoriten. Mit noch mehr Glück haben sie nicht gerade zum infrage kommenden Zeitpunkt ihren Jahresurlaub in Süditalien oder einen Skiausflug in die Schweizer Hochalpen geplant. (Wir leben am Niederrhein!)

Falls wir ganz großes Glück haben, ist es sogar möglich, den auserwählten Rüden und seine Menschen schon vor dem großen Tag persönlich kennen zu lernen. Nicht nur wir Menschen, auch unsere Vierbeiner haben schließlich Vorlieben und Abneigungen...

Also muss das bisher beschriebene Procedere schon einige Zeit vor der erwarteten Läufigkeit abgeschlossen sein, um eventuell noch reagieren zu können, falls etwas doch nicht passt.

 

Und dann kann es endlich losgehen?

 

Tja, dann ist erst mal die Hündin gefragt!

Wann es losgehen kann, entscheidet sie ganz allein. Erst einmal muss ihre Hitze beginnen - und da sind die Damen gelegentlich ganz schön eigensinnig. Wenn es gerade besonders heiß oder besonders kalt, oder sonst wie besonders ist, verzögern sie die Sache schon mal um ein paar Wochen - und die ganze Menschenplanung war für die Katz!